Warum ich bei Rúben Dias falsch lag…

Alex
7 min readApr 29, 2021

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“Ruben Dias wäre eine enttäuschende Lösung für das Innenverteidiger-Problem bei ManCity. Er ist kein schlechter Spieler, sehe bei ihm aber auch weder das Level noch das Potenzial, um bei ManCity zu spielen, vor allem im Spiel mit dem Ball.”

Das habe ich am 25. September des letzten Jahres über einen möglichen Transfer von Rúben Dias von Benfica zu Manchester City geschrieben. Vier Tage später wurde der Transfer dann offiziell bestätigt und es zog Dias für 68 Millionen Euro nach Manchester. Seitdem hat er 48 Spiele für den designierten Meister absolviert und einen massiven Anteil an der besten Defensive der Premier League sowie der Weiterentwicklung im Fußball Guardiolas.

Man kann jetzt gerne über meine damalige Einschätzung lachen, aber tatsächlich ging der Konsens bei der Bewertung dieses Transfers in dieselbe Richtung und auch professionelle Scouts sowie Leute, die weitaus mehr Ahnung von Fußball als ich haben, kritisierten den Transfer. Selbst bei ManCity war er wohl nicht erste Wahl, wirkte eher wie ein Not-Transfer.

Da kann man sich nur eine Frage stellen: Warum lagen so viele kluge Menschen in ihrer Evaluation Rúben Dias´ falsch? Diese Frage stellt für mich einen besonderen Reiz dar. Ein absolutes Top-Talent zu erkennen, ist nicht allzu schwer. Auch ein unerfahrener Fußball-Schauer wird sehen, dass Phil Foden oder Jadon Sancho sehr gut sind, in dem was sie tun. Aus einer Fehleinschätzung kann man dagegen einiges lernen. Daher möchte ich hier die drei “Lektionen” vorstellen, die ich anhand des Rúben-Dias-Transfers gelernt habe.

  1. Die Analyse des aufnehmenden Teams muss ausführlicher ausfallen.

Meine damalige Analyse dieses Transfers war etwas faul, um ehrlich zu sein. Sie folgte dem Muster “City ist eine spielstarke Mannschaft, Dias kein sonderlich spielstarker Spieler, also passt das nicht zusammen”. Damit macht man es sich jedoch viel zu einfach.

In meiner grundsätzlichen Spielerbewertung sehe ich mich immer noch bestätigt. Dias ist kein starker Passgeber, vor allem im Vergleich zu seinen Mannschaftskollegen bei City. Zudem bleiben meine Bedenken, wenn er unter Druck steht.

“Vor allem im Aufbau geht ihm die für Guardiola so wichtige Pressingresistenz ab.”

Das schrieb ich über Dias am Tag der Transfer-Verkündung. Und hier haben wir auch den ersten Fehler: Für einen Guardiola-Innenverteidiger ist die Pressingresistenz im Aufbau nicht entscheidend. Besonders in dieser Saison lief kaum mal ein Gegner City hoch an, Dias gerät schlicht kaum in diese Situationen, in denen er schwächer aussehen könnte. Ähnliches gilt für das Aufbauspiel. Dias ist hier nicht als linienbrechender oder kreativer Passgeber gefragt. Seine Schwächen werden vom Konstrukt ManCitys sehr gut versteckt.

Auf der anderen Seiten kommen seine Stärken oft grandios zur Geltung. Sein aggressives Rausrücken ermöglicht Guardiola und seiner Mannschaft das Durchziehen eines sehr intensiven, hohen (Gegen)pressings. Zudem beruhigte er mit der Klarheit seiner Aktionen eine sonst oft unsicher wirkende Abwehrreihe.

Diese Fähigkeiten konnte man schon während seiner Zeit bei Benfica sehen. Den Nutzen für ManCity habe ich falsch eingeschätzt. Das hätte man auch zum Zeitpunkt des Transfers schon so sehen können. Um diesen Fehler zu vermeiden, habe ich mir eine kleine Faustregel überlegt: Das Vorstellen von spezifischen Aktionen eines Spielers in seinem neuen Team.

Dieser kleine Trick bietet einen großen Vorteil: Man ist dazu gezwungen, tiefer über den Spieler und seine möglichen Aktionen in einer anderen Mannschaft nachzudenken. Das geht viel mehr in die Tiefe als wenn man nur den Spielstil einer Mannschaft mit dem Spielstil eines Spielers abgleicht, da diese Spielstile nur äußerst abstrakte Begriffe sind. Eine spielstarke Mannschaft und ein spielschwächerer Innenverteidiger passen offensichtlich zusammen, also muss die Analyse in die spezifischen Aktionen gehen, die von einem Spieler gefordert sind.

2. Lernfähigkeit ist eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Spielers.

Potenzial ist ein Wort, das man im Fußball täglich hört. Das Potenzial soll angeben, wie gut ein Spieler mal werden kann. Darüber welche Fähigkeiten entscheidend sind, um besser zu werden, herrscht jedoch keine Einigkeit. In meinen Augen liegt die Antwort auf der Hand: Die entscheidende Fähigkeit, die ein hohes Potenzial aufzeigt, ist die Fähigkeit besser zu werden.

Klingt offensichtlich, aber anders ist es kaum zu erklären, dass technisch hervorragende als Mega-Talente gehandelte 17-Jährige fünf Jahre später nur noch in der dritten Liga spielen, während ein Jamie Vardy erst mit 27 Jahren sein Premier-League-Debüt gibt und mit 33 Jahren Torschützenkönig der Premier League wird. Das 17-jährige hypothetische Super-Talent ist nicht besser geworden, Vardy dagegen schon. Hätte man beide Fußballer mit 17 Jahren verglichen, hätte mit Glück einer von 100 Scouts Vardy bevorzugt.

Vardy zeichnet aus, dass er stets besser wurde. Besonders in den letzten Jahren entwickelte er sich im Kombinationsspiel weiter und glänzt jetzt auch erstmals in einer Doppelspitze zusammen mit Kelechi Iheanacho, für den er viele Räume schafft. Nur durch seine Lernbereitschaft und Anpassungsfähigkeit kann Vardy so auch noch in hohem Alter auf Top-Niveau spielen.

Deswegen schaue ich bei Spielern stets auf ihre Entwicklung. Sobald ein Spieler verschiedene Rollen ausfüllt und neue Fähigkeiten erlernt hat, ist das für mich ein sehr gutes Zeichen, dass dieser Spieler eine so wichtige hohe Lernfähigkeit hat.

Die Lernfähigkeit wird sich bei jedem Wechsel positiv bemerkbar machen. Ein Spieler kann so schnell in seine neue Mannschaft finden und unterschiedliche taktische Muster verinnerlichen. Genau das ist mit Rúben Dias passiert, der sofort einen positiven Einfluss auf das Spiel Citys hatte und sich bereits in einigen anderen Aspekten noch zusätzlich verbessern konnte.

Dieser Punkt führt mich direkt zu meinem dritten großen Lerneffekt.

3. Für akkurate Transfer-Evaluationen fehlen dem Außenstehenden zu viele Informationen.

Woher soll man wissen, dass ein Spieler lernfähig ist? Faktoren wie die Entwicklung können Indikatoren dafür sein, dass man einen lernfähigen Spieler gefunden hat, aber der Fall Rúben Dias zeigt, dass das oft nicht reichen wird.

In seinem letzten Jahr bei Benfica war bei Rúben Dias kein großer Schritt nach vorne zu sehen. Das hat nicht nur mich skeptisch gemacht. Eine fehlende Weiterentwicklung heißt jedoch nicht, dass ein Spieler nicht zur Weiterentwicklung fähig ist. Von Dias wurde in seinem letzten Benfica-Jahr sehr Ähnliches erwartet wie auch in den vorherigen Jahren. Natürlich entwickelt sich ein Spieler dann auch nicht in großem Maße weiter.

Was man über Rúben Dias als Typen hört, ist dagegen durchweg positiv. In einem Artikel von The Athletic über seine Verpflichtung sagten zwei ehemalige Jugend-Trainer Dias´ Folgendes über den Portugiesen:

“He tries to have an influence every day. Each training session is a new opportunity. He doesn’t give himself a moment’s rest. He wants to develop, wants to learn, wants to be there for the team. That’s how he arrived where he is today, and this isn’t the end for him. He’s still on the launch ramp.”

“The first thing to know is the character. In terms of character, personality and human values he is special because he’s a fighter. (…) In terms of personality, he’s very special and I believe one of the things that impressed the City scouts most when they looked at him was his character.”

Es sind nicht nur diese positiven Worte, die beeindrucken, sondern auch, die Wichtigkeit die die ehemaligen Trainer der Persönlichkeit Dias´ einräumen. Diese sei zum Einen erst Grund für seine aktuelle Qualität und zum Anderen ein entscheidender Grund für seinen Wechsel zu City.

Ich habe im vergangenen Jahr sehr viele solche Einzelspieleranalysen gelesen. Etwas, das praktisch alle erfolgreichen Spieler verband, waren die positiven Berichte ehemaliger Weggefährten über die Lernfähigkeit und Bereitschaft dieser Spieler. Diese Weggefährten mögen nicht besonders unparteiisch sein , aber das zu erkennende Muster ist so klar, dass man es nicht mehr von der Hand weisen kann. Abgesehen davon wurde bereits in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen, dass zum Beispiel ein growth mindset ein entscheidender Faktor in der Entwicklung eines Sportlers ist.

Das große Problem: Von außen haben wir keine Ahnung davon, wie die Fähigkeiten eines Spielers in diesen Bereichen sind. Ohne den zuvor erwähnten The-Athletic-Text wäre mein Bild von Rúben Dias ein anderes (und unpräziseres).

Wenn ein Profi-Verein einen Transfer tätigt, werden diese Fähigkeiten (zumindest im Optimalfall) über verschiedenste Hintergrundgespräche analysiert.

Es sind aber nicht nur die Fähigkeiten eines Spielers, die wir nicht kennen. Genauso wenig können wir in den Kopf des Trainers schauen, um seine Idee für diesen Spieler nachzuvollziehen. Das macht Transfer-Evaluationen fast schon sinnlos. Eine Transfer-Evaluation sollte schließlich nicht bewerten, ob ein Spieler gut oder schlecht funktioniert hat (hierfür gibt es viel zu viele zufällige/glückliche Dinge, die im Fußball geschehen können), sondern inwiefern die Idee hinter dem Transfer Sinn ergibt.

Diese Idee kennen wir als Außenstehende nie. Wir können darüber spekulieren, aber die komplette Wahrheit wird uns stets vorenthalten bleiben.

Vor eine letzte spannende Frage stellt mich das Ganze: Wie sollte man als Außenstehender Transfers bewerten?

Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Letztlich hängt die Beantwortung dieser Frage massiv davon ab, was man von seinen eigenen Bewertungen erwartet. Will man eine möglichst hohe “Erfolgsrate” haben, muss man möglichst viele Informationen in eine tiefgehende Analyse einfließen lassen. Wenn man nicht länger als fünf Minuten über einen Transfer nachdenken will, muss man akzeptieren, dass die Bewertung durchaus daneben liegen kann. Ist das schlimm? Nein. Letztlich kann jeder auf diese Weise selbst entscheiden, wie gut seine Analyse sein wird.

Fußballspieler, Teams und Transfers qualitativ hochwertig zu analysieren, ist verdammt schwer. Ich stelle täglich fest, dass ich mit einer meiner Einschätzungen falsch lag. Genau das ist es aber, was den Fußball so spannend macht. Ich kann mit jedem Tag Neues lernen und verstehe so mehr vom Spiel. Das Analysieren von Fehleinschätzungen ist der wichtigste Teil in meiner Weiterentwicklung als Fußball-Beobachter.

Und da ich öfter gefragt werde, wie man besser im Beobachten von Spielern und Spielen wird, in dem Sinne ein Tipp: Einfach so viel Fußball wie möglich schauen, diesen Fußball analysieren und sich den eigenen Analyse-Fehlern nie verschließen, sondern diese hinterfragen.

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Alex
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Written by Alex

It’s a game of position, not possession. (Domenec Torrent

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